Eawag

Natürliche Toxine: Aus dem Waffenarsenal eines Bakteriums

Cyanobakterien sind uralte Lebewesen. Hüllen ohne Kern unterschiedlichster Arten, die bei grosser Dichte in warmen Gewässern komplexe Substanzen und auch Toxine ausscheiden können. Einige sind für Mensch und Tier giftig. Diesen natürlichen Toxinen ist Elisabeth Janssen auf der Spur: Angewandte Forschung, deren Resultate in Gewässerschutz oder -management einfliessen können.
Im Greifensee natürlichen Toxinen auf der Spur: Eawag-Forscherin Elisabeth Janssen (Mitte) mit Techniker Thea Bulas (l.) und dem Zivildienstleistenden Jonathan Held, der Proben mit entnimmt. (© ETH-Rat / Kellenberger Kaminsiki)

In der wärmeren Jahreszeit häufen sich Schlagzeilen wie: «Dürfen Hunde noch aus dem Greifensee trinken?», «Blaualgen haben sich auch in der Bodenseeregion ausgebreitet» oder «Hunde an Vergiftungen gestorben: Badeverbot am Neuenburgersee». Oftmals sind die Seen dann blaugrün oder rot gefärbt. Verantwortlich sind jedoch keineswegs nur Algen, sondern auch eine Grossansammlung sogenannter Cyanobakterien, zwei Milliarden Jahre alte Lebewesen, die bei Menschen und Tieren zu Vergiftungserscheinungen wie Hautirritationen oder Übelkeit führen können. Eine Folge von natürlichen Toxinen, Giftstoffen aus der Natur, die Cyanobakterien in warmen Gewässern produzieren können. Über dieses Phänomen forscht Elisabeth Janssen, promovierte Umweltchemikerin und Leiterin der Forschungsgruppe «Umweltchemie von Biomolekülen» an der Eawag. 

Frau Janssen, was ist das, natürliches Gift?

Alles kann toxisch sein. Erst die Dosis macht das Gift. Natürlich toxisch heisst zunächst nur, dass ein Stoff nicht im Labor synthetisiert worden ist, sondern dass das Substanzen sind, die der Natur entspringen, und für Wasserlebewesen und auch den Menschen giftig sein können. 

Warum interessieren Sie sich ausgerechnet für Cyanobakterien? 

 Wir sind ein Wasserforschungsinstitut, beschäftigen uns deshalb auch mit natürlichen Toxinen im Wasser. Da sind Cyanobakterien spannend, weil sie einen ganzen Cocktail an interessanten Substanzen herstellen. Manche kennen wir recht gut. Manche gar nicht. 

Sind die alle giftig? 

 Das ist oft nicht so eindeutig. Ich sage deshalb: Sie sind bioaktiv. Jede dieser Substanzen hat eine Funktion. Sie sind das biochemische Waffenarsenal des Bakteriums, um zu überleben, um Feinde in Schach zu halten oder an Nährstoffe zu gelangen. Von den verschiedenen Arten der Cyanobakterien sind ca. 2000 Moleküle bekannt, von denen einige potenziell toxisch sein können. Die Forschung darüber steht noch ziemlich am Anfang. 
 

« Jeder, der in einem Schweizer See schwimmt, hat Kontakt mit Cyanobakterien. Ob es zu einer Erkrankung kommt, hängt von vielen unterschiedlichen Faktoren ab. »     

In der Forschungsliteratur tauchten Cyanobakterien erstmals Ende des 18. Jahrhunderts auf, als Wissenschaftler davon ausgingen, dass Vergiftungserscheinungen bei Tieren mit einer von diesen Bakterien ausgehenden Toxizität zu tun haben könnten. Seit den 1960er Jahren, als der Nährstoffeintrag in Seen stark zunahm, wird intensiver am Thema geforscht. Nachdem in den 1990er Jahren in Brasilien Dialysepatienten über Cyanobakterien in Frischwasser ein tödliches Lebergift in sich aufgenommen hatten, haben Forschende die Datenlage über das verursachende Toxin derart verbessert, dass ein erstes Molekül der Bakterien in die Richtlinien der WHO aufgenommen wurde. Dies ist Voraussetzung, um Grenzwerte einer Gesundheitsschädigung festlegen zu können. Mittlerweile befinden sich drei weitere Moleküle der Cyanobakterien auf der Liste. 

Insgesamt werden von der WHO nur vier Moleküle als toxisch eingestuft. Sind Cyanobakterien doch harmlos?

Das sind sie nicht. Es ist nur schwierig, eine wissenschaftlich fundierte Kausalkette zwischen verursachendem Toxin und einem kranken Organismus herzustellen. Jeder, der in einem Schweizer See schwimmt, hat Kontakt mit Cyanobakterien. Ob es zu einer Erkrankung kommt, hängt von vielen unterschiedlichen Faktoren ab. 

Nämlich? 

Stirbt ein Hund, wird er obduziert, es werden Proben aus dem See genommen und untersucht. Doch es ist alles sehr komplex und flüchtig. Meist ist es fast nicht mehr möglich, die exakte Dichte an Bakterien zu eruieren, da sich ein Gewässer nie statisch verhält. Wie viel Wasser hat der Hund tatsächlich getrunken, hatte er Vorerkrankungen? Dies epidemiologisch und wissenschaftlich exakt festzustellen, ist äusserst anspruchsvoll. 

Wie gehen Sie genau vor?

Die meisten von Cyanobakterien produzierten Substanzen können nicht käuflich erworben werden. Wir stellen also aus Bakterien Laborkulturen her, die Toxine produzieren, die dann im Reagenzglas isoliert werden. Diese fungieren als Messstandard, mit dem Giftstoffe aus einem Gewässer abgeglichen werden. Das ist sehr herausfordernd, auch wenn es nicht so klingt. Damit dies Resultate bringt, müssen interdisziplinäre Expertisen zusammenkommen: etwa von Ökologinnen, Mikrobiologen, Toxikologen oder eben Chemikerinnen. Das ist an der Eawag möglich.
 

Was ist das Ziel dieser interdisziplinären wissenschaftlichen Anstrengung? 

Ich möchte verlässliche chemisch-analytische Methoden zur Messung von Toxinen aus Cyanobakterien entwickeln. Wir müssen wissen, was im See drin ist, wie langlebig die Substanzen sind. Das hat grossen Einfluss auf vieles. Auf die Toxizität. Auf die Frage, wie wir Gewässer oder Wasseraufbereitung managen müssen. 
 

Welche Rolle spielt der Mensch dabei? 

Natürliche Prozesse werden vom Menschen stark beeinflusst. Je mehr wir über die Toxine wissen, desto stärker können wir auch in vom Menschen gesteuerte Zusammenhänge eingreifen, um Cyanobakterien besser zu kontrollieren. Insofern leistet unser Team Grundlagenforschung, die auf zahlreichen Gebieten Anwendung finden kann.