Was bringt Tempo 30 in der Stadt?

Kurt Heutschi, Wissenschaftler in der Empa-Abteilung «Akustik / Lärmminderung», erklärt, was Lärm zu Lärm macht und warum wir Schall so unterschiedlich wahrnehmen.
Kunstlärm: Im «AuraLab» der Empa beurteilt eine Probandin ihre Wahrnehmung von Fahrgeräuschen der Bahn. Bild: Empa

Herr Heutschi, kann man Lärm eigentlich messen?

Als Lärm bezeichnet man unerwünschten Schall. Unerwünscht bedeutet in diesem Zusammenhang, dass es vom Urteil eines Menschen abhängt, ob ein Schallsignal Lärm ist oder nicht. Ein Messinstrument kann diese Einteilung nicht vornehmen, d.h. Lärm ist nicht messbar.

Eine Kreissäge nehmen wir als lästig wahr, einen rauschenden Bach dagegen als angenehm. Wie kommt das?

Bei der Bewertung von Geräuschen neigt der Mensch dazu natürliche Geräusche als weniger störend oder sogar als angenehm und bereichernd wahrzunehmen. Technische Geräusche werden tendenziell als unangenehmer eingestuft. Die Kreissäge ist besonders extrem, da ihr Geräusch einen sehr deutlichen Ton, also eine bestimmte, dominierende Schallfrequenz enthält. Strassenlärm ist eher ein Rauschen, also bei gleicher Schallstärke weniger lästig als die Kreissäge. Interessant ist: Auch die persönliche Haltung hat einen Einfluss auf die Bewertung. Wenn ich zum Beispiel am Ertrag einer Windturbine beteiligt bin, dann stört mich das Geräusch viel weniger, da es ja signalisiert, dass ich Geld verdiene.

Wie sehen das Stadtbewohner? Wird Verkehrslärm in einer Stadt eher akzeptiert?

Meine Einschätzung ist, dass wir in der Gesellschaft akzeptiert haben, dass unser Bedürfnis nach Mobilität Lärm zur Folge hat. Wenn wir das Gefühl haben, dass der Lärm nicht vermeidbar ist, können wir ihn viel eher akzeptieren. Wo unsere Akzeptanz aber schnell einmal aufhört, ist bei Posern, d.h. wenn Autos absichtlich extralaut betrieben werden. Das befriedigt nicht ein Mobilitätsbedürfnis, sondern da werden persönlichen Leidenschaften ausgelebt.

Wie sieht es diesbezüglich mit Tempo 30 im Vergleich zu Tempo 50 aus?

Dabei kommt es auf den Fahrzeugtyp an, also PW, Liefer- oder Lastwagen, auch die Fahrweise spielt eine Rolle. Aber im Mittel emittiert ein PW bei Tempo 30 rund 5 dB weniger Lärm als bei Tempo 50. Dies sieht man etwa beim Vergleich der Maximalpegel, also bei einer Vorbeifahrt durch das Fahrzeug im kürzesten Abstand. Betrachten wir jedoch die gesamte Schallmenge, während ein Fahrzeug an uns – bzw. an einer Anwohnerin – vorbeifährt, dann reduziert sich der Lärm durch Tempo 30 nur noch um rund 3 dB. Der Grund dafür liegt darin, dass das langsamere Fahrzeug zwar deutlich leiser ist, aber auch länger braucht, bis es vorbei ist.

Nehmen wir Lärm bei Tag und Nacht unterschiedlich wahr?

Die Reduktion um 5 dB beim Maximalpegel spielt vor allem nachts eine Rolle, da eine mögliche Schlafstörung gerade vom Maximalpegel abhängt. Tagsüber, wenn viele Fahrzeuge unterwegs sind, bildet sich ein konstanter Geräuschpegel aus – man könnte es Schallteppich nennen. Bei Tempo 30 ist dieser Schallteppich um 3 dB niedriger als bei Tempo 50. Das ist eine spürbare Verbesserung, aber längst nicht so deutlich wie in der Nacht. Eine Tempo-30-Zone hat natürlich nur dann einen Effekt, wenn sich alle an das Tempolimit halten. Schon wenige Schnellfahrer erzeugen grosse und stark störende Lärm-Peaks.