Eine weniger umweltbelastende Wissenschaft

Die Wissenschaft hilft uns, den Klimawandel zu analysieren und zu handeln, um seine Auswirkungen zu begrenzen. Aber sie trägt auch zum Klimawandel bei, zum Beispiel durch die vielen Reisen von Forschenden zu Konferenzen oder wenn sie Kolleginnen und Kollegen besuchen. Die Institutionen des ETH-Bereichs sind bestrebt, ihren ökologischen Fussabdruck zu reduzieren. Hier sagen sie, wie.
Dienstreisen tragen einen grossen Teil zu den CO2-Emissionen der ETH Zürich und der EPFL bei. (©dsleeter)

Die Schweiz will Kohlenstoffneutralität erreichen, d.h. maximal so viel CO2 ausstossen, wie natürlich oder künstlich absorbiert werden kann. Und sie hat sich dazu verpflichtet, dies bis 2050 zu tun, was eine Halbierung unserer Emissionen im Vergleich zu den Werten von 2006 erfordert. Die Bundesverwaltung will mit gutem Beispiel vorangehen und dies bis 2030 erreichen. Der ETH-Bereich macht dabei mit und muss deshalb alles daran setzen, seinen ökologischen Fussabdruck drastisch zu reduzieren. Deshalb haben die Institutionen des ETH-Bereichs die Nachhaltigkeit nun zu einem zentralen Bestandteil ihres strategischen Denkens gemacht.

«Die ETH Zürich war eine der ersten Hochschulen, die ihren Reise-Fussabdruck eingeschätzt hat.»      Christine Bratrich, Director of ETH Zurich Sustainability

Die Stabsstelle für Nachhaltigkeit an der ETH Zürich besteht seit 2008 und ist direkt dem Präsidenten unterstellt. «Ich sehe das als ein Zeichen dafür, dass es eine echte Bereitschaft gibt, in dieser Frage voranzukommen», sagt Leiterin Christine Bratrich. Die Zürcher Hochschule ist auf dem besten Weg, bis 2030 für einen Teil ihres CO2-Fussabdrucks, insbesondere in Bezug auf Heizung, Kühlung und eingekauften Strom, Klimaneutralität zu erreichen. Ein grosses Thema sind das Pendeln und Dienstreisen, die allein mehr als die Hälfte der 2018 an der ETH Zürich erfassten Treibhausgasemissionen ausmachten.

Ähnlich ist die Situation an der EPFL: Die grössten Fortschritte wurden auf dem Campus gemacht, sagt Gisou van der Goot, Vizepräsident für Responsible Transformation. Die Hochschule bereitet sich darauf vor, komplett auf Öl und Gas für die Beheizung von Gebäuden zu verzichten, fördert die sanfte Mobilität für den Weg zur Arbeit, reduziert die Fleischmenge in den Cafeterien, um den ökologischen Fussabdruck des Campus zu verkleinern, und strebt eine «digitale Nüchternheit» an, indem sie sich mit den wachsenden Umweltauswirkungen der IT beschäftigt. Auch hier machen Dienstreisen mit 44 % den grössten Teil der Emissionen aus (bzw. ein Drittel, wenn man den Klima-Fussabdruck der Lebensmittel mit einbezieht).

Reisen ist eines der Hauptthemen, stellt aber auch eine Möglichkeit dar, die Emissionen der Institutionen deutlich zu reduzieren. «Die ETH Zürich war eine der ersten Hochschulen, die ihren Reise-Fussabdruck eingeschätzt hat», sagt Christine Bratrich. «Wir ermutigen die einzelnen Abteilungen, ihre eigenen Treibhausgasreduktionsziele zu planen. Unsere letzte Umfrage zeigt, dass über 90 % der Professorinnen und Professoren von unseren Bemühungen in diesem Bereich wissen.» Diese Verpflichtungen sind freiwillig – es gibt keine Konsequenzen, wenn die Ziele nicht erreicht werden.

Mit gutem Beispiel vorangehen

Einige der befragten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gaben zu, dass sie sich über das Thema Carbon Footprint noch keine Gedanken gemacht haben. Andere sind sich dessen sehr bewusst. «Ich bin allergisch gegen grosse Ankündigungen», sagt Anna Fontcuberta i Morral, Professorin am Materialinstitut der EPFL. «Wir sprechen in meinem Team informell über Nachhaltigkeitsthemen. Die Kultur in einem Labor wird nicht durch Reden definiert, sondern durch das Vorleben.» Sie bespricht jede Reise mit ihren Teammitgliedern und hat einfache Regeln aufgestellt: Den Zug bevorzugen, wann immer es möglich ist, und auf Reisen von weniger als 500 Kilometern nicht fliegen.

Natürlich hat sie ihre Dienstreisen seit dem Beginn der COVID-19-Pandemie stark reduziert. Und sie hat nicht vor, zum Tempo der Vergangenheit zurückzukehren: «Ich fühlte mich unter Druck gesetzt, viele Fernreisen zu unternehmen, weil das von Forschenden eines bestimmten Niveaus erwartet wird: zu grossen Konferenzen eingeladen zu werden, oft zu reisen, um Kolleginnen zu besuchen, internationale Kollaborationen aufzubauen... Man muss sich entscheiden, wie man die verfügbare Zeit investiert. Für mich macht es einen nicht zu einer besseren Wissenschaftlerin, wenn man viele Stunden in Flugzeugen verbringt.»

Die Physikerin fordert ein Umdenken: «Wir müssen einen ehrlichen Blick in den Spiegel werfen: Ist das Reisen wirklich notwendig, um unser Forschungsprojekt voranzubringen, oder schmeichelt es nur unserem Ego?» Dennoch bleibe das Reisen für die Forschung unverzichtbar, betont sie: «Die Wissenschaft braucht Kreativität, und diese wird durch informellen, improvisierten und unerwarteten Austausch genährt. Die Pandemie hat uns gezeigt, dass ein virtueller Austausch möglich ist, aber ich habe die Beobachtung gemacht, dass Online-Meetings tatsächlich sehr fokussiert ablaufen: Wenn man das Glück hat, mit einem Kollegen sprechen zu können, macht man das Beste aus jeder Minute. Das ist effizient, aber es lässt keinen Raum für Spontaneität. Wenn wir so weitermachen, denke ich, dass die Kreativität der Wissenschaft und die Serendipität leiden werden.»

Die Rolle der Technik

Christine Bratrich von der ETH Zürich weist auf eine interessante Lösung hin: hybride Konferenzen, die eine Veranstaltung in mehrere Hubs aufteilen, zum Beispiel einen ersten in den USA und einen zweiten in Europa, die beide per Videokonferenz miteinander verbunden sind. Das hat den Vorteil, dass der CO2-Ausstoss durch die Einschränkung von Interkontinentalflügen deutlich reduziert wird und gleichzeitig Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf verschiedenen Kontinenten persönlich zusammenkommen und ihr Wissen per Videokonferenz austauschen können.

Die Technologie spielt dabei eine wichtige Rolle, bestätigt Gisou van der Goot von der EPFL. «Wir müssen bereit sein, in Videokonferenzlösungen zu investieren, die funktionieren, in geeignete Räume und einfach zu bedienende Geräte. Eine einfache Webcam ist nicht in allen Konfigurationen ausreichend.» Die beiden Hochschulen haben auch Kamerasysteme und Roboterbildschirme getestet, die es den Online-Teilnehmenden ermöglichen, aus der Ferne an kleinen Gesprächsgruppen von Angesicht zu Angesicht teilzunehmen, mit dem Ziel, die informelle Dynamik nachzubilden, die z. B. bei einer Cocktailparty stattfindet.

«Die Erwartung, dass Forschende zu vielen internationalen Konferenzen reisen, ist sehr hoch»      Lena Gubler, Forscherin an der WSL

«Es wird viel über Reisen geredet, aber wir müssen auch darüber diskutieren, wie akademische Karrieren bewertet werden», sagt Lena Gubler, Forscherin an der Eidgenössischen Forschungsanstalt WSL. «Die Erwartung, dass Forschende zu vielen internationalen Konferenzen reisen, ist sehr hoch. Aber die Anzahl der Veranstaltungen, die man besucht, sollte keinen entscheidenden Einfluss auf den Erfolg einer wissenschaftlichen Karriere haben. In meiner Forschung zum Beispiel analysiere ich, wie die Rehabilitierung von Torfgebieten zur Reduzierung der CO2-Emissionen in der Schweiz beitragen könnte. Die Forschungsergebnisse werden angewandt, und um ihre Wirkung zu maximieren, arbeite ich viel mit lokalen Akteuren zusammen. Das akademische System muss Raum für weniger klassische Karrieren bieten.»

Überzeugungsarbeit

Gisou van der Goot von der EPFL ist sich dieses Problems durchaus bewusst. Um die Bedeutung beruflicher Reisen in der Wahrnehmung dessen, was eine gute wissenschaftliche Karriere ausmacht, zu verringern, schlägt die Vizepräsidentin vor, das, was sie als Dekanin der Fakultät für Life Sciences eingeführt hatte, auf die gesamte EPFL auszudehnen: Die Erwähnung von maximal drei Konferenzen pro Jahr in den für die Beförderung eingereichten Dossiers zuzulassen, um ein klares Signal zu senden, dass nicht die Quantität, sondern die Qualität entscheidend ist.

Um die Einstellungen zu ändern, setzt Gisou van der Goot auf direkte Diplomatie: «Ich spreche individuell mit Leuten auf dem Campus, die viel reisen, um ihren Standpunkt zu hören und sie, wenn möglich, zu überzeugen, ihre Reisen zu reduzieren. Einige von ihnen sind dankbar: Sie sagen mir, dass sie sich früher nicht getraut haben, bestimmte Einladungen abzulehnen, aus Angst, als unhöflich, arrogant oder faul angesehen zu werden, aber jetzt können sie sagen, dass sie es tun müssen, um die Richtlinien der Institution zu respektieren.»

Für sie kann das Management einer Institution eine Rolle spielen, indem es gute Infrastrukturen, einfach zu bedienende Monitoringtools einrichtet oder ein einziges Reisebüro nutzt, das bei der Buchung Umweltaspekte berücksichtigt, z. B. Direktflüge gegenüber billigeren Flügen bevorzugt. «Aber ob man reist oder nicht, ist letztlich eine persönliche Entscheidung», so van der Goot.

Ein kniffliger Punkt bleibt: Sollte nicht das Wachstum der Anzahl der Hochschulmitarbeitenden begrenzt werden, um deren Auswirkungen zu verringern? «Auf keinen Fall», sagt Anna Fontcuberta i Morral, «wenn die Schweiz ihre Klimaziele erreichen will, braucht sie die von uns ausgebildeten Fachkräfte.»